SHS-Serie: Meilensteine der Medizin
Tübingen, den 3. November 1906: Alzheimer erstmals beschrieben
Der 3 .November 1906 ist für die Geschichte der Alzheimer-Krankheit ein wichtiges Datum. Denn an diesem Samstag beschrieb der Arzt Dr. Alois Alzheimer (14.6.1864 – 19.12.1915) bei einer Fachtagung der Tübinger Nervenklinik erstmals eine Art von Demenzerkrankung. Alzheimer, der 1886/87 in Tübingen Student war, hatte bei einer Patientin in Frankfurt nach deren Tod Eiweißablagerungen (Plaques) in und zwischen den Nervenzellen im Gehirn gefunden. Die Patientin, die in Frankfurt von Alzheimer behandelt wurde, litt unter starken Gedächtnisstörungen und wurde als misstrauisch und auch aggressiv beschrieben. Vor ihrem Tod sagte Auguste Deter von sich selbst: „Ich habe mich sozusagen verloren.“ Alzheimers Vortrag in Tübingen fand trotz der aus heutiger Sicht bahnbrechenden Erkenntnis kaum Beachtung. So soll es nicht einmal Nachfragen gegeben haben.
Erst ein Jahr später, 1907, machte der Psychiater und Neuropathologe seine medizinische Entdeckung in einem Aufsatz öffentlich: „Über eine eigenartige Erkrankung der Hirnrinde“. 1911 diagnostizierte er bei einem weiteren verstorbenen Patienten nach der Gehirnuntersuchung eine „später einsetzende senile Demenz mit langsamerem Verlauf.“ Im selben Jahr nahm Alzheimers Vorgesetzter Dr. Emil Kraeplin die Krankengeschichte von Alzheimers erster Patientin in sein Lehrbuch auf und nannte die Krankheit „Alzheimersche Krankheit“. Alois Alzheimer selbst starb 1915 im Alter von nur 51 Jahren. In Tübingen erinnert eine Gedenktafel in der Hafengasse 6 an Alois Alzheimer, der als Student im damaligen Hotel Prinz Karl gewohnt hat.
Erst in den 60er Jahren setzte die Alzheimer-Forschung wieder verstärkt ein, nachdem fast 50 Jahre sehr wenig passiert ist. Trotz großer Anstrengungen gibt es bis heute keine Therapie, mit der man die Alzheimer-Demenz heilen könnte. Dabei sind die Zahlen erschreckend. Rund 900 Mal pro Tag wird in Deutschland die Diagnose Demenz gestellt. Die Zahl der Demenzkranken beträgt allein in Deutschland derzeit ca. 1,5 Millionen, Tendenz stark steigend. Aufgrund der besseren Diagnosemöglichkeiten werden die Patienten außerdem jünger. Dabei ist Demenz nicht gleich Demenz; es gibt viele Varianten, und der gesamte Diagnoseprozess ist für Betroffene und Angehörige psychisch sehr schmerzhaft.
Rund 60 Prozent aller Demenzkranken leiden unter der Alzheimer-Demenz. Mit 15 Prozent ist die vaskuläre Demenz die zweithäufigste Form; sie wird auf Durchblutungsstörungen des Gehirns zurückgeführt. Eher seltenere Demenzformen sind die Parkinson-Demenz, medikamentös bedingte oder stoffwechselbedingte Demenzen oder auch Demenzen als Folge eines Schädel-Hirn-Traumas.
Leider weiß man über die Ursachen und Risikofaktoren von Demenzerkrankungen noch zu wenig. Als gesichert gilt, dass genetische Faktoren wichtig sind für ein gehäuftes Auftreten der Alzheimer-Krankheit. Allerdings sind diese genetischen Faktoren nur in 3 Prozent aller Fälle alleiniger Auslöser einer Demenzerkrankung. Hauptrisikofaktor ist das Alter. Man geht inzwischen auch davon aus, dass Depressionen eine Demenzerkrankung fördern, ebenso Schlafstörungen, Diabetes, kognitive Störungen und geringe Sozialkontakte. Nicht gesichert ist hingegen der Zusammenhang zwischen Migräne und Demenz. Manche Forscher vermuten, dass Migränepatienen mit Aura-Symptomen ein höheres Risiko haben, später an Demenz zu erkranken. Nicht mit Demenz, aber mit dem Krankheitsbild Migräne befasst sich übrigens das belgische Unternehmen Salvia, das zur Behandlung von chronischer Migräne implantierbare Neurostimulationssysteme entwickelt. (Link zu Salviva: www.salvianeuro.com)
Fakt ist, es muss noch viel mehr auf diesem Gebiet geforscht werden, denn schon jetzt stellt die große Zahl von Demenzpatienten die Betroffenen selbst, aber auch die Angehörigen und die Pflege vor gewaltige Herausforderungen, die in Zukunft nicht geringer werden. Experten in Deutschland und den USA, wo übrigens viel mehr Mittel in die Demenzforschung fließen, gehen davon aus, dass hier eine gewaltige Welle auf uns zurollt, auf die unsere Gesellschaft nur unzureichend vorbereitet ist.