Das Portfolio-Interview: Dr. Martin Renner, CEO Develco Pharma
Die Deutsche Schmerzgesellschaft schätzt die Zahl chronischer Schmerzpatienten allein in Deutschland auf rund 23 Millionen Menschen. Zu diesen zählen zum Beispiel Krebspatienten, die an starken, chronischen Schmerzen leiden, die meist nur mit opioiden Analgetika behandelt werden können. Unter anderem für diese Patienten entwickelt und produziert das SHS-Portfoliounternehmen Develco Pharma oral zu verabreichende Schmerzmittel, die mit einer besonderen retardierenden Formulierung ausgestattet sind, die eine seltenere Einnahme (z.B. ein oder zwei Mal täglich) ermöglicht.
Die SHS hat sich vor einigen Monaten an Develco Pharma beteiligt. Wir haben mit Develco-CEO Dr. Martin Renner gesprochen, der seit Januar 2020 die mittelständische Unternehmensgruppe leitet. Dr. Renner ist Apotheker und hat in Pharmazeutischer Technologie promoviert. Er war viele Jahre in Führungspositionen bei internationalen Pharmaunternehmen tätig.
Redaktion: Herr Dr. Renner, was genau macht Develco Pharma?
Dr. Martin Renner: Seit dem Jahr 2006 entwickelt und produziert Develco Pharma innovative Formulierungen für Arzneimittel mit bereits bekannten Wirkstoffen. Der Schwerpunkt liegt derzeit auf der Therapie von starken Schmerzen und ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung). Bei Develco arbeiten 130 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an Standorten in der Schweiz und an unserem hochmodernen Produktionsstandort im badischen Schopfheim. Wir verfügen im Moment über mehr als 220 Marktzulassungen und haben bis heute mehr als 1 Milliarde Tabletten produziert.
Wer sind die Kunden von Develco?
Wir konzentrieren uns auf die Entwicklung von besseren Arzneimittel-Formulierungen, die klinischen Studien und die Zulassung der Medikamente sowie im Anschluss auf die wirtschaftliche Serienproduktion für unsere Kunden auf B2B-Basis. Sie werden den Develco-Schriftzug auf keiner einzigen Medikamentenschachtel finden, da wir unsere Produkte an international operierende pharmazeutische Firmen auslizensieren, die die Medikamente unter ihrem Namen vermarkten. In unserer Kundenliste finden Sie so ziemlich alle großen Namen der Generikabranche.
Wie genau helfen die Develco-Formulierungen den Patienten, die Ihre Schmerzmittel oral einnehmen?
Ein Patient, der unter sehr starken, chronischen Schmerzen leidet, muss, wenn seine Schmerzen erträglich sein sollen, ein herkömmliches, d.h. nicht-retardierendes Schmerzmittel mehrmals am Tag in exakten Zeitabständen einnehmen. Wir verarbeiten diese bekannten Wirkstoffe mittels speziellen Develco-Formulierungen, so dass eine modifizierte, verzögerte Wirkstoffabgabe nach der oralen Einnahme eintritt, beziehungsweise ein Effekt erreicht wird, dass Wirkstoffkonzentrationen im Körper optimiert werden, d.h. ein erster Teil schnell freigesetzt wird, dann der restliche Wirkstoff langsam abgegeben wird. Diese speziellen Formulierungen ermöglichen also, dass der Wirkstoff allmählich über einen bestimmten Zeitraum abgegeben wird. Schmerzspitzen werden dadurch vermieden und das gesamte Schmerzlevel abgesenkt. Für die Patienten bedeutet das einen spürbaren Gewinn an Lebensqualität! Außerdem erlaubt dies, dass der Patient nur noch ein oder zwei Mal am Tag, z.B. morgens und/oder abends, an die Einnahme seiner Schmerzmittel denken muss. Die Handhabung (Compliance) ist also erleichtert, und das Medikament wirkt über den ganzen Tag gleichmäßiger und besser.
Wo sehen Sie die Stärken von Develco?
Generika kennen wir alle. Das sind Medikamente, bei denen der Patentschutz abgelaufen ist und die dann von anderen Herstellern nachgemacht werden. Was Develco macht, ist wesentlich anspruchsvoller. Wir nehmen den bekannten Wirkstoff und kopieren nicht einfach die Formulierung, sondern verarbeiten diesen mit unserer speziellen Technologie, so dass er verzögert oder modifiziert abgegeben wird. Das ist echte Hightech-Arbeit, und da haben wir uns in den letzten 15 Jahren sehr viel Expertise aufgebaut, die mittlerweile weltweit geschätzt wird. In diesem sehr speziellen Aufgabenfeld Wirkstoffverabreichungssysteme sind wir sehr gut aufgestellt und bei den Wirkstoffen, die wir verarbeiten, führend. Wir sagen immer: Wo es für andere schwierig wird, fängt es für uns an. Die Herausforderungen nehmen wir gerne an, das können wir, und da sind wir auch stolz drauf.
Welche Pläne haben Sie, und wie ist es um die Develco-Pipeline bestellt?
Unsere Pipeline ist gut gefüllt und wird kontinuierlich weiterentwickelt. Wir gehen davon aus, dass wir mit unserem Knowhow und unserer langjährigen Erfahrung jetzt erfolgreich in neue Therapiebereiche vorstoßen können. In Bereichen wie Schmerz und ADHS haben wir einen starken Kundenstamm und einen hohen Marktanteil, den wir weiter ausbauen. Parallel dazu starten wir mit neuen Wirkstoffen, um auch in anderen Indikationsgebieten einen Mehrwert für Patienten durch Develco-Formulierungen zu schaffen. Hier gibt es erste Kooperationen und Erfolge in der Entwicklung, wir suchen jedoch weiter nach neuen Möglichkeiten, um gemeinsam mit Partnern eine Idee zur Marktreife zu bringen.
Sie produzieren seit Ende 2016 in einer hochmodernen Fertigung im badischen Schopfheim. Welche Vorteile hat das gebracht?
Mit dem Neubau in Schopfheim konnten wir eine State-of-the-Art-Fertigung aufbauen, die höchsten technischen und pharmazeutischen Ansprüchen entspricht. Wir wollten da keine Kompromisse machen. Die gesamte Produktion und Verpackung erfolgen automatisiert, mit digitalem Monitoring und Dokumentation, da erfüllen wir höchste internationale Qualitätsstandards. Wir haben dort tolle Mitarbeitende und beherrschen wichtige Technologien, die zur Herstellung fester Verabreichungsformen benötigt werden. Dazu zählen einfache Misch-, Press-, Verkapselungs- und Befilmungsverfahren ebenso wie die Herstellung hochkomplexer Pellets und retardierender fester Arzneiformen. Über die letzten Jahre haben wir viele unserer Produkte vom vorherigen Lohnhersteller an unseren eigenen Standort transferiert, wo die Produktion entsprechend gewachsen und heute gut ausgelastet ist. Die Lieferbereitschaft an unsere Kunden hat sich ebenfalls deutlich verbessert.
Wir haben uns bewusst für einen Standort in Deutschland entschieden, da wir es für essentiell erachten, lokal zu produzieren. Neben sehr guten Mitarbeitenden in der Region haben wir auch einen Vorteil in der Supply Chain, vor allem für Europa. Dies gilt sowohl für uns als Lieferant, als auch für unsere Kunden, auf deren Aufträge wir flexibler reagieren können.
Politik und Wirtschaft betonen gerade in diesen Zeiten die Bedeutung der Berufsausbildung. Wie wird Develco dieser Verantwortung gerecht?
Diese Pandemie ist eine große Belastung – für alle Menschen in unserer Gesellschaft. Uns ist es wichtig, gerade in dieser Zeit der Unsicherheit ein Zeichen für junge Menschen zu setzen. Darum haben wir uns Ende letzten Jahres entschieden, mit der Ausbildung von neugierigen, jungen Menschen zu starten. Mit unseren Ausbildungsplätzen bieten wir ihnen einen festen Platz in der Gesellschaft, Kontinuität und eine attraktive berufliche Zukunft. In wenigen Wochen werden die ersten zwei Pharmakanten bei uns ihre Ausbildung beginnen. Weitere Ausbildungsplätze, zum Beispiel im Bereich Labor, sind in Planung. Wir freuen uns sehr auf diesen gemeinsamen Weg.
Welche zentralen Herausforderungen sehen Sie für Ihre Branche in den nächsten Jahren?
Die alternde Gesellschaft wird es mit sich bringen, dass immer mehr Menschen gegen starke, chronische Schmerzen behandelt werden müssen. Auch andere Krankheitsbilder wie etwa ADHS werden zunehmen. Für diese Patienten gilt es, Medikamente zu entwickeln, die ihre Wirkung über einen längeren Zeitraum sicher und gleichmäßig entfalten. Dabei müssen etwaige Nebenwirkungen oder auch die Gefahr von Abhängigkeiten auf ein absolutes Minimum reduziert werden. Bei neuen Indikationen wollen wir genau diesen Vorteil auch anwenden und werden uns auf Produkte konzentrieren, wo gerade das wichtig ist – eher in Nischen, nicht bei Massenmedikamenten.
Sie waren viele Jahre in verantwortlichen Positionen bei globalen Pharmakonzernen. Was hat Sie an der Aufgabe bei einem Mittelständler gereizt?
Ein globaler Pharmakonzern ist wie ein riesiges Containerschiff. Da fährt man zwar auf einem relativ sicheren Kurs, dieser lässt aber kaum Abweichungen zu, und Veränderungen passieren eher langsam. Bei Develco ist das anders. Wir verstehen uns als wendige, innovative Einheit – das Schnellboot, um den Vergleich mit dem Containerschiff aufzunehmen. Wenn wir eine Chance sehen, zum Beispiel in einem neuen Therapiefeld, können wir schnell reagieren und auch mal Dinge ausprobieren. Ähnlich ist es bei unserem Vorgehen in der Entwicklung bis zur Zulassung – da versuchen wir viel pragmatischer und schneller zum Ziel zu kommen. Es ist kein Zufall, dass auch die Corona-Impfstoffe fast ausschließlich von kleineren Firmen wie Biontech, Moderna oder Curevac entwickelt worden sind.
Was hat Develco bewogen, sich für die SHS als Wachstumsinvestor zu entscheiden?
Die SHS hat als Branchen-Investor viele Jahre Erfahrung mit Beteiligungen im Healthcare-Bereich. Die wissen, wie unsere Branche tickt. Das unterscheidet die SHS von anderen Investoren. Außerdem verfügt die SHS über ein großes Experten-Netzwerk, auf das wir nun Zugriff haben. Wir wollen so unser Wachstumspotenzial gemeinsam angehen und optimal ausschöpfen.
Wir danken Ihnen für dieses Gespräch, Herr Dr. Renner.